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    So hat dem Entschlafenen derselbe Mund den Segen über den Sarg gerufen, der einst die Ehe eingesegnet hatte, die nun der Tod geschieden hat – so weit der Tod zu scheiden Macht hat. Dringender Mahnung gehorchend schliesst daran der älteste Freund einen letzten Gruss, wie derselbe im Namen der Freunde am Hochzeitstage die junge Frau begrüsste. Die Versuchung liegt ihm nahe an die Worte anzuknüpfen, die er damals sprach; sie klangen manchem zu ernst für den Freudentag, weil sie ganz aussprachen, was das Herz empfand. Aber dabei müsste die Hand an Wunden gelegt werden, deren frischer Schmerz keine Berührung erträgt. Und wenn mich etwas befähigt, das Wort zu nehmen, so ist es das, dass ich die letzte schwerste Zeit nur aus der Ferne mit erlebt habe, nicht ansehen musste, wie Siechtum und Verfall des Körpers auch die Seele zu überschatten schien. So kann und will ich denn versuchen, den Blick auf das zu richten, was Georg Kaibel wirklich gewesen ist, was er trotz Krankheit und Tod ist und bleibt.

    Wir alle kennen und lieben als das Hervorstechendste an seiner leiblichen Erscheinung die leuchtenden Augen, die in die Welt und ihre Schönheit so frei und fröhlich, so sicher und herrschend darein schauten. Ich habe diese Augen gesehen, als sie noch befremdet und schüchtern, fragend und fast bittend auf die weite unheimliche Welt blickten. Das war in Bonn, als er nach einem unbefriedigenden ersten Studienjahre 1868 aus Göttingen dorthin kam. Damals war die Psyche noch gebunden, damals war er noch nicht er selbst. Aber ich habe dann auch beobachtet, wie die Bande sprangen, und der befreite Schmetterling lichtfroh seine schimmernden